Babar nimmt ein Leben

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Es gab nichts, wovor der große Kaiser Babar gezögert hätte, es für sein Volk zu tun. Er pflegte seine Staatsangehörigen als seine eigenen Kinder zu betrachten. Von Zeit zu Zeit verließ Babar das Gelände seines Palasts und ging durch die Straßen, um sich unter sein Volk zu mischen und die Bedingungen zu anzusehen, unter denen sie lebten. Wenn er jemanden sah, der verarmt war, half er ihm. Die Leute erkannten ihn nicht, weil er sich dabei sehr einfach kleidete. Zudem trug er eine Art Turban über seiner Krone. So war es für die Leute unmöglich zu erkennen was es war, wenn sie nur das Äußere sahen.

Nun begab es sich, dass es einen Jungen Mann gab, der Babar gegenüber gewaltigen Neid empfand, weil jeder ihn wertschätzte, bewunderte und verehrte. Jeder lobte Babar stets in den Himmel für seinen Mut, seine Güte, seine Vornehmheit und andere göttliche Qualitäten. Aus diesem Grund hegte der junge Mann den Wunsch Babar zu töten. Er hatte gehört, dass der Kaiser von Zeit zu Zeit ganz allein durch die Stadt ging. Deshalb trug er stets ein Schwert mit sich und hoffte, dass er dem Kaiser eines Tages begegnen würde, wenn dieser allein war, und dann Gelegenheit haben würde, ihn zu töten.

Für gewöhnlich folgten Babars Wachen ihm heimlich, um ihn zu beschützen. Obwohl Babar nicht wollte, dass jemand ihn begleitete, sorgten sich die Wachen um seine Sicherheit. Babar war der Herrscher des gesamten Reiches, aber in dieser Hinsicht hörten seine eigenen Leibwachen nicht auf ihn.

An einem bestimmten Nachmittag, gelang es dem Kaiser alleine, ohne seine Wachen auszugehen. Als Babar so inkognito umher ging, sah er einen wildgewordenen Elefanten die Straße entlang kommen. Die Leute schrieen und rannten vor dem Elefanten weg, und alle brachen in Panik aus. Aber da war ein kleines, hilfloses Kind, das nicht schnell genug rennen konnte, um dem Elefanten aus dem Weg zu gehen. Jeder war zu Tode erschrocken, doch niemand wagte den Versuch, das Kind zu retten. Gerade in dem Moment als der Elefant kurz davor war, das Kind zu zertrampeln, rannte der Kaiser blitzschnell herüber und riss das Kind aus dem Weg. Babar rettete das Kind, doch als er mit ihm davon rannte, fiel sein Turban zu Boden.

Als der Elefant wieder weg war, kamen einige Männer angerannt, um den Turban des tapferen Helden aufzuheben. Als sie das Innere erblickten, erkannten sie, dass es sich um die Krone ihres Kaisers handelte. Der junge Mann, der sich gewünscht hatte, Babar zu töten, war einer derjenigen, die den Kaiser das Kind retten sehen hatten. Obwohl er selbst gewusst hatte, dass das Leben des Kindes in Gefahr war, war er nicht mutig genug gewesen, zu versuchen das Kind zu retten. Er war davon gerannt, genau wie all die anderen. Als er erkannte, was geschehen war, fiel er Babar zu Füßen und sprach: „Vergib mir.“

Babar sagte: „Was hast du getan?“

Der Mann sprach: „Viele Jahre lang habe ich den Wunsch gehegt, dich zu töten, weil ich schrecklich neidisch auf die Bewunderung war, die dir zukommt. Nun sehe ich, dass du sie wahrlich verdienst. Als Kaiser bist du wertvoller für das Reich als jeder von uns, aber du warst bereit dein eigenes Leben dafür aufzugeben, um einen gewöhnlichen Menschen zu retten. Was ich von dir gelernt habe, ist, dass es unendlich viel besser ist, Leben zu geben, als Leben zu nehmen. Das ist, was du mich gelehrt hast. Nun, anstatt dein Leben zu nehmen, gebe ich dir meines. Bitte nimm mein Leben.“ Dann reichte er Babar das Schwert, mit dem er ihn zu töten geplant hatte.

Babar nahm das Schwert und sprach:“ Ich lehrte dich, wie man Leben gibt. Nun werde ich dein Leben nehmen. Komm mit mir. Von nun an wirst du einer meiner Leibwächter sein. Ich kann sehen, dass deine Aufrichtigkeit wahrlich außerordentlich ist, und ich bin sicher, dass du eine treue Wache sein wirst.“

So nahm Babar das Leben des Mannes, nur um es in ein fruchtbares und nützliches zu verwandeln. Anstatt ihn zu töten, anstatt ihn zu bestrafen machte Babar ihn zu einem seiner persönlichen Leibwächter.

 

Aus dem Buch: Illumination-experiences on Indian soil, part 1, Sri Chinmoy, Agni Press, 1974

Übersetzung: Magdalena Lewosinska
Bild:
Richard /pixelio.de